Sie für sich Wissen: Heterotopie
Doktorarbeit
Heterotope Mechanismen
am Beispiel von Schutzbauwerken und (Fernseh-)Serien
Serialität & Immersionstheorie
Als Basis dient eine eigentlich nur skizzenhafte Theorie, nämlich die Heterotopie aus der Feder des französischen Philosophen Michel Foucault. Diese wird im Rahmen der Dissertation konkretisiert, mit Inhalt gefüllt und anschaulichen Beispielen versehen. Im Zusammenhang damit entsteht u. a. auch eine Immersionstheorie, die Mechanismen von Medien (über klassische Medien hinausgehend, reale und virtuelle Räume einschließend) veranschaulichen und erklären kann. Insofern kann durchaus jede Form von Raum — real bis virtuell — als eine Art Medium bezeichnet bzw. verstanden werden.
Die Heterotopie ist — im Sinne dieser Arbeit — eine Theorie zu anderen und/oder Gegen-Räumen. Aber sie ist auch eine Arbeit zu Räumem des »Gleichen«. Das mag als Wiederspruch erscheinen und erweist sich oft als ein solcher. Doch in diesem zeigt die Theorie ihre Kraft: Die Heterotopie offeriert eine Erklärung darüber, wie und wie sehr Menschen in real-räumlichen bis virtuellen Raumkategorien denken, was damit an Wirkungen verbunden ist und wo auch negative (radikale) Facetten entstehen. So ist das andere oft eine Frage der Perspektive, oft ist es ein imaginiertes Konstrukt oder ein eben auch als Sündenbock Fungierendes … Aufklärung, über Medien und Menschen.
»What-if-Szenario«, künstlerische Erprobung der Heterotopie — Serionkonzept und Teaser-Pilot »Habitat 2«: Was wenn der Kalte Krieg zum 3. Weltkrieg eskaliert wäre? Konzepte von Mauern und Grenzen können durchaus mit der Heterotopie beschrieben bzw. in ihrer offenbaren Ambivalenz erklärt werden.
+ Heterotopie am Set — virtuelles Set (etwa Blue-/Green-Screen) vs. reale Location
Diese Doktorarbeit setzt sich sowohl auf wissenschaftlich-theoretischer als auch praktisch-künstlerischer Ebene mit den Analogien der beiden Untersuchungsfelder auseinander — mit Serialität und »Bunker«, beides in einem weitgefassten Sinne. D. h., die Arbeit beinhaltet Beschreibungen und Analyse beider Felder (entsprechend der Heterotopie) — in einem wortwörtlichen Sinne sowie als Abstraktion: So lässt sich durchaus von gedanklichen Bunker sprechen. Sie kennen sicherlich entsprechende Beispiele.
Auch wenn bzw. gerade weil die Fallhöhen der beiden Untersuchungsfelder (Bunker und TV-Serien) im krassen Gegensatz zueinander scheinen, kann dieser Vergleich wichtige Einsichten bringen — die ambivalente Reichweite heterotoper Mechanismen wird so offenbar.
Auf keinen Fall dürfen die unterschiedlichen Tragweiten der Beispielfelder dabei aber ignoriert werden — etwa, dass die Bunker-Bauten der Nazis nicht nur Ausdruck eines menschenverachtenden Regimes sind, sondern ihr Bau zum Tode von Tausenden von Zwangsarbeitern führte. Das andere Feld — die TV-Serie — hingegen ist im direkten Vergleich und auf den ersten Blick eben inszeniert, gar »bloße« Fiktion.
Appropos Räume: »Digital« ist ein Modewort auch zur Beschreibung räumlicher Erlebnisse geworden, welches häufig zw. Innovationsausdruck und Schreckgespenst auf alles übertragen wird; meist wäre »virtuell« passender. Zum Beispiel sind Übertragungen des bewegten Bildes (als Konferenz) lange vor der sogenannten »Digitalisierung« möglich gewesen. In einem immersiven Sinne trifft man sich in besagter Konferenz virtuell in einem ebensolchen Raum, der heute sicherlich meist digital zustande kommt. Aber auch Telefonieren fußtmittlerweile auf digitalen Techniken und trotzdem wird das virtuelle Treffen während eines Telefonates im Allgemeinen nicht als »digital« beschrieben.
Schaut man über das Fernsehen hinaus, wird allerdings auch klar, dass das Serielle (für diese Art des Erzählens steht das Medium meist vorschnell und auf den ersten Blick) weit über Unterhaltung hinaus gegenwärtig ist und einen über das vermeintlich Triviale hinausgehenden Mehrwert besitzt: Das Leben steckt voller Episoden — zwischen Wiederholung, Wiederholung in Variation und der Progression, dem Wandel.
Als theoretische Basis der Arbeit und als Scharnier dieser beiden Komplexe fungiert besagte Heterotopie. Im Zuge einer genauereren Betrachtung lässt sich diese — wie gesagt — auf reale und virtuelle Räume anwenden. Virtuell im Sinne von während eines Chats oder einer Videokonferenz entstehender Räume des gemeinsamen Austausches, bis hin zu imaginierten Räumen: zum Beispiel als eine Vorstellung von etwas in einem Romanoder als Vorurteil zum Beispiel. Die Heterotopie fand und findet in ihren ursprünglichen Versionen besonders in der Geistes- oder Medienwissenschaft, in der Soziologie und in der Architektur Gehör. Auf Grund des skizzenhaften Charakters beider Bestimmungen des Begriffs 1966 und 1967 durch Michel Foucault ist es jedoch notwendig, detailliert die Hintergründe und die in den Texten des Philosophen mitgeführten Implikationen herauszuarbeiten sowie das Konzept einer erweiterten (über Foucault hinausgehenden) Betrachtung zu unterziehen.
Die Heterotopie — real bis virtuelle Räume, je nach Perspektive, stets miteinander verwoben …
Die Heterotopie und ihre Eigenarten — auch über Foucault hinaus
Ein widersprüchliches, unspezifisches Konzept als Chance zur Beschreibung menschlichen Denkens und Handelns: Die Heterotopie ist ein räumliches Konzept, welches sich nicht nur auf real-räumliche Dimensionen beschränkt, sondern auch virtuelle Facetten und Hybride kennt. Daher können Bunker und (Fernseh-)Serien durchaus mit ihr beschrieben und dahinterstehende Mechanismen erklärt werden. Ähnlichkeiten zeigen sich etwa so: Das Betreten von Räumen oder Welten bzw. einer Heterotopien weist bei Foucault zum Beispiel serielle Momente auf — sei es in Form sich saisonal wiederholender Feste oder als Station in der Progression des Lebens. Genauso wie der Festplatz kann der virtuelle Raum einer Fernsehserie betreten werden …
Das leihkörperschaftliche Einlassen (Voss 2006, 2008a u. b) während des Eintauchens basiert auf einer mehr oder minder bewussten Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit eines bestimmten (realen Ortes) etwa oder der des Fernsehers (bzw. der dortigen Serienwelt) gegenüber einer (subjektiven) wirklichen Wirklichkeit (der vorhergehende Raum, das gegenwärtige Wohnzimmer etc.).
Heterotopien weisen also Eigenarten bzw. der Begriff beschreibt, dass Räume oft eigene Regeln haben, manchmal gar ein Eigenleben führen. Jeder kennt das: Hier und dort werden bestimmte Spielregeln verlangt, die andernorts nicht erlaubt sind usw. Jeder Heimwerker kennt es, manchmal entwickelt das Projekt ein Eigenleben und wir unterstehen ihm mehr, als es uns … Heterotopien sind bestimmte Ort oder Sphären, die — medien-ähnlich — bestimmte Rahmen bilden, infolge dessen sie — vereinfacht zusammengefasst — den Betretenden etwas abverlangen, ermöglichen oder auch nehmen. Räume können eben auch kreiert und gestaltet werden — da mag keine Überraschung sein, die Kraft der Heterotopie liegt aber darin, uns über die Welt aufzuklären, über das, was oft so alltäglich ist, aber auch unbewusst ist.
»Vereinfacht« sagt es bereits: ein einfaches Nebeneinander ist nur eine Möglichkeit, wie ich Räume zueinander verhalten. Oft sind verschiedene Räume bzw. Heterotopie ineinander nämlich verschachtelt — zum Beispiel: das eigene Zimmer — Gemeinschaftsbereich der Familie — Straße — bestimmte Stadt — Sportverein — bestimmte virtuelles Game-Welt — Firma, gar Abteilung — Land etc. Alle samt über Eigenarten verfügend und doch miteinander verbunden … gar einander überlagernd: So sind wir im Kino gleichsam im Saal und doch auch — während des Interpretierens — quasi Teil einer virtuellen Welt.
Mit dem Konzept der Heterotopie zeigt sich auch, es gibt mehr als nur reale und virtuelle Räume: Bunker weisen ähnlich dieser eingangs beschriebenen, und zwar auf narrative Erlebnisse bzw. konkrete auf TV-Serien bezogenen Erfahrung Schwellenmomente und Stationscharakteristika auf — als Bauwerk gegen ein kurzzeitiges Bombardement etwa. Sie können wichtiges Mahnmal sein — weit über einen Konflikt hinaus und sich quasi weiterentwickeln. Während eine TV-Serie eine Phase unseres Lebens prägt oder narrativ progressiv (Erzähltypus II) eine fortwährende Geschichte erzählt. Überdies wurden auch Bunker seriell produziert und in bestimmte Typen eingeteilt. Nicht zuletzt dienten sie während des 2. Weltkrieges in Deutschland auch der seriellen Produktion von Waffen und damit mehr oder weniger abstrakt sogar ihrem Selbsterhalt, zumindest dem des menschenverachtenden Regimes.
Foucault leitet die Heterotopie womöglich von den Arbeiten des französischen Philosophen Georges Bataille ab: Gegenräume oder »erhaben« wirkende, so gedachte Bereiche, würden, so dessen Analyse, dazu fungieren, in Religionen zum Beispiel als Ideal oder abschreckende Sphären zu dienen. In bestimmten Herrschaftsmodellen, etwa einer von der Bevölkerung unantastbar inszenierten Monarchie, dienen sie als abstrakte Machtgrundlage. Die Heterotopie ist dann aus Perspektive des »normalen« Raums (Anführungszeichen, weil der normale Raum für andere eine Heterotopie sein kann usw.) also quasi ein mythischer, gar unantastbarere, aber mächtiger oder einfach nur imaginärer Raum.
Foucault jedenfalls setzt sich in zwei als different zu beschreibenden Bestimmungen mit dem Begriff »Heterotopie« auseinander. Der Philosoph selbst greift dann aber bis zu seinem Tode 1984 nicht wieder auf das Konzept zurück. Allerdings lassen sich sehr wohl der Heterotopie ähnliche Denkweisen in dem vom Foucault später behandelten Diskurs- oder Macht-Konzepten entdecken.
In »Die Ordnung der Dinge« ist die Heterotopie eine nicht nur die Sprache, sondern das Denken zerstörende Kraft gegenüber der nicht-realisierten Utopie, welche als imaginärer Nicht-Ort Ordnung verheißt. In seiner zweiten Definition benennt der Philosoph die bekannten fünf (bis sechs) Grundsätze der Heterotopie und bestimmt sich als realisierte Utopie, als einen (oft widerspenstigen) Gegenraum oder Raum des Anderen. Oft wird die Heterotopie damit zu einem Ort der Auslagerung für Verhalten, was »normalerweise« oder »offiziell« nicht geduldet wird. Es wird dabei auch zu einem Refugium oder Ventil. Und dabei ist das Gegensatzpaar »Heterotopie vs ›Normalraum‹ [Ein Begriff, den Foucault so nicht nutzt, der aber quasi, wenn auch vorschnell, auf der Zunge liegt]« schnell eine Frage der Perspektive.
Die Heterotopie ist nämlich, ihrer etymologischen Andersartigkeit zum Trotz, nicht per se eine den etablierten Machtverhältnissen entgegengesetzte Sphäre, sondern kann dazwischen stehen oder diesen auch unterstehen. Gerade Bataille zeigt, dass ein Exzess im Rahmen bestimmter Parameter vollzogen werden kann: die Ausnahme als Bestätigung der Regel. Eine moderne Entsprechung kann hier der Karneval sein, welcher als Ventil wohlorganisiert und polizeilich beschützt vonstatten geht. In einem Blick auf an Foucault anschließende Konzepte von Lefebvre (1991) u. Soja (1996), De Certeau (1980), Deleuze/Guttari (1980), Augé (1992) sowie Bhabha (2000) lassen sich transitorische (und medientheoretisch auslegbare) Anwandlungen in der Heterotopie nachzeichnen: Der Zug beispielsweise ist ein Transportmittel, aber auch selbst einen Raum spezifischer Regeln, der das Gut sowie die Reise als auch deren Ausgang mitbedingt. Das kennt jeder: Wie die Reise läuft, kann Einfluss auf die Laune am Ziel nehmen. Ein solcher räumlich und zeitlich »dazwischenstehende« Raum — als Station im Leben fungierend oder als ein die Synthese begünstigender Bereich zw. zwei Meinung verstanden — kann ebenfalls als heterotop aufgefasst werden. Und dieses Beispiel entspricht durchaus der Definition einfacher Kommunikation, insofern ein Medium eben nicht nur Transporteur ist.
Letztlich kann je nach Perspektive (wie gesehen) alles zur Heterotopie werden, ohne Heterotopie geht nichts, so wie der Mensch eben an Medien beteiligt (≈ Repräsentant eines Vereins) sein kann und sich keine Kommunikation ohne ein Medium realisieren lässt: Luft zur Übertragung von Tönen, Geld als Medium, das Rad als Medium bis hin zu Film, Buch etc. Diese Beliebigkeit der Heterotopie-Bestimmung, der Definition Foucaults oft angekreidet, wird hier als Stärke verstanden, um ein Schubladendenken hinter sich zu lassen/ein der Komplexität der Welt entsprechendes Instrumentarium zu entwickeln, um Problem angemessen angehen zu können.
Wenn auch dieser Einstieg in seiner Vielfältigkeit überbordend wirken mag, zeigt er die Vielfältigkeit heterotopen bzw. medialen bzw. seriellen Denkens und Handels in unser aller Welt. In der Dissertation sind die Charakteristika der Heterotopie detaillierter aufgeschlüsselt und in notwendiger Ausführlichkeit strukturiert worden. Der vorläufige Befund: Die Heterotopie ist ambivalent — Spiegel des Menschen im Guten und Schlechten: eskapistischer Ausgleich, demokratischer Gegenraum, dann eine Verkörperung von Klischees sowie radikalen und tödlichen Ideologien bis hin zu einem quasi- (aber nie wirklich) neutralen Dazwischen zw. Vermittlung, Kompromiss und Schematismus (≈ als Raum einer Kette inklusive des vermeintlich »Immergleichen«).
Heterotopie ist Widerspruch — und manchmal auch nicht
Basierend auf der umfassenden Betrachtung der Heterotopie sind in dieser Doktorarbeit, gegenüber dem Katalog Foucaults von fünf bis sechs Punkten, sieben Grundsätze zum Heterotopen ausformuliert worden. Diese sind nicht als Ersatz der Foucault’schen Einteilung gedacht, sondern als Analyseschema. Der erste Grundsatz fungiert als Einleitung und der siebte als Zusammenfassung der auf die heterotopen Mechanismen hin untersuchten Felder — hier des Bunkerbaus und der fernseh-bezogenen Serialität. Die beiden Untersuchungsobjekte lassen sich in ihrer Weite und Ambivalenz sowie in abstrakter Sichtweise als eine Art von Super-Heterotopien bestimmen …
Die Furcht des Menschen nach Veränderung und der gleichsame Wunsch nach ihr spiegeln sich in diesen Beispielen wider. Auch die verschiedenen Typen des seriellen Erzählens im Kontext des Fernsehens können diesem Zwiespalt Ausdruck verleihen: In der Status-quo-Serie wird keine der Figuren über die Episode hinaus wirklich bedroht, der Sozialverband wird nie auseinander gerissen. Die progressive Serialität hingegen ist von einem schonungslosen Wandel bestimmt, in dem auch liebgewonnene Protagonisten sterben können. Einerseits erlaubt das Ende einer Folge oder eines Films, im Sinne Luhmanns (1996: 98), eine im Leben nicht ersichtliche Erfahrung, nämlich klarer Schnitte oder (in Bezug auf die stagnierenden Facetten dieser Serialität gar) ein Anhalten der Zeit. Der zweite Pol des seriellen Erzählens scheint hingegen höchstens Zäsuren zu beinhalten.
Im (kathartischen) Drinnen- oder Draußen-Halten (während man ein Serie rezipiert — die eigene Welt bleibt während des Eintauchens draußen, die Welt der Serie wird nie gefährdet (Pol 1)), durch tatsächliche als auch imaginäre Grenzbefestigungen oder stereotypes Schwarz-weiß-Denken kann es bedauerlicherweise, regelmäßig aber nur als Illusion gelingen, vermeintlich unveränderliche Welten dem steten Wandel entgegen zu stellen.
Die strikte Typisierung von Serialität von Heterotopien darf nicht täuschen: Das hat das Beispiel des Zwischenlagers bereits zeigen können.
Auch in progressiven Formaten des bewegten Bildes verfallen die Protagonisten (wie etwa Walter White der prämierten Serie »Breaking Bad«) in wiederkehrende oder zumindest in einer Spirale vorstellbare Muster zurück. Es geht immer weiter mit dem kriminellen Handeln und doch sehnt er sich nach Früher zurück, steigt aus, nur um sich in eine neue kriminelle Machenschaft zu stürzen. Auch in den Serien des 1. Pols (/Typus I ≈ »Fall der Woche«, »Jede Episode kann die erste sein.«) lässt sich — allem »Bemühen« um ein »Zeitanhalten« — nicht über die Alterung der Darsteller hinwegtäuschen. Das aber greift dem zweiten Feld vor — zeigt aber gleichsam wie hinter den Untersuchungsobjekten stehende, und zwar heterotop-serielle Mechansimen über die Felder hinweg zu beobachten bzw. allgegenwertig sind.
2015 kehrte — quasi seriell — der Begriff »Festung Europa« im Angesicht der Flüchtlingskrise zurück — zweifellos eine mindestens ungeschickte, wenn nicht verstörende Wort- und Begriffswahl. Schließlich ist der Begriff durch die Verwendung der Nationalsozialisten geprägt. Er fand u. a. für die von den Nazis errichteten, gegen die Allierten gedachten Bunkerbauten an der französischen Küsten Verwendung und war sowohl als Schlagzeile als auch in den Bauten und den damit verbundenen Vorhaben nicht zuletzt eine (weitere) reale und/oder abstrakte Manifestation der menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten.
Dann aber: Nicht nur bestimmte Fernsehserien, sondern auch verschiedene Bunkerbauten offerieren diesem oftmals allzu simplen Denken entgegengesetzte Konzepte: Sie lassen sich in einem Dazwischen einordnen, welches als Chance der Synthese konträrer Bereiche zu verstehen ist, die (Semi-)Permeabilität zwischen heterotopen Bereichen und ihren Schranken aufzeigt sowie — in beinahe aufklärerischer Transgression — auf die unbequemen Graustufen zwischen einfachen Sichtweisen verweist: Walter White fasziniert das Publikum sicherlich auf durch seine wachsende Zügellosigkeit und doch begegnet man ihm mit Abscheu angesichts seiner Taten — das bleibt seitens der Schöpfer der Serie unkommentiert, wir als Zuschauende müssen uns selbst ein Bild machen. Heute und hierzulande sind Bunker — gebaut einerseits als Ausdruck der vermeintlichen Stärke einer Diktatur, anderseits bereits während ihres Baus versteckt, weil sie dem Untergang der Diktaur bereits vorwegnahmen — potenziell auch Mahnmale über den 2. Weltkrieg hinaus. Ein weiteres — abstrakteres — Beispiel sind etwa wissenschaftlichen Diskurse oder investigative Medien. Dort werden oft mehrere und sich wiedersprechende Positionen aufgezeigt, manchmal so stehen gelassen, ebenfalls damit sich Rezipienen selbst einen Eindruck verschaffen können, sie werden fundiert gegeneinander abgewogen oder in einen Kompromiss verwandelt.
Als »Habitat 3« ein Konzept der Disseration, nach der Doktorarbeit realisiert: Sammelband »Vier Typen seriellen Erzählens im Fernsehen«. Autoren: Uni Weimar, Uni Saarbrücken, Uni Würzburg, Uni Vechta. Ausgezeichnet mit dem »Red Dot 2018«, »iF Design Award 2019« und »German Design Award 2020«.
Das Buch als Heterotopie, in welchem div. heterotope Räume eingeschlossen sind …
Sogenannte »Schtuzbauwerke«
Die Geschichte des Bunkerbaus basiert einerseits auf der Entwicklung von (Grenz-)Befestigungsanlage und des Wohnens anderseits: Von der Frühzeit bis ins Mittelalter glaubte man, die Wohnräume — die Habitate — vor Tieren oder Feinden sichern zu müssen. Konzepte wie die bewachter Wohnanlagen oder Panikräume sowie Bestrebung um Grenzzäune können zeigen, dass ein solches »Bedürfnis« bei manch Menschen bis heute bzw. anhaltend vorhanden zu sein scheint. Selbst die Bekleidung kann seit Frühzeiten mit diesem Gedanken assoziiert werden — sowohl die Analogie des Kleidungsstücks Mantel und des Schutzmantels baulicher Form als auch die am Leib bis heute getragenen Formen von Rüstungen können dies illustrieren. Zivile und militärische Zwecke waren zunächst ineinander verschlungen. Eine dezidierte Trennung der beiden Bereiche zeigte sich erst ab dem 17. Jahrhundert …
… In Anbetracht wachsender Durchschlagskraft der Waffen vermochten sich die Städte nicht mehr durch aufwendige, sie umgebende Verteidigungsanlagen zu schützen. Vorgelagerte Forts wurden daher errichtet. Aber aus diese gerichtete, von einem Vorne und einem Hinten ausgehenden Konzepte der Kriegsführung verloren mit dem Aufkommen des Flugzeugs an Bedeutung. Im Atomzeitalter sind sowohl die Reichweite als auch die Vernichtungskraft der Sprengköpfe derart groß, wie die Vorwarnzeiten klein sind. Das Resultat dieser Entwicklung ist, dass sich die Trennung von Militär und Zivilleben (erneut) aufhob/aufhebt, Kriege »totaler«, sprich umfassender und mehrdimensional wurden und werden. Der Bunkerbau des zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges versuchten in bisweilen naiver Absicht, Regierung zu einem Gegenschlag oder gar ganzen Kulturen zu einem Überleben nach dem nuklearen Schlagabtausch zu verhelfen. Folglich wurden in der Tiefe liegenden, von meterdicken Stahlbeton umgebende (zeitlich und ressourcenabhängige) autarke Räume geschaffen. Oft wurden die Komplexe versteckt — aus strategischen Gründen. Aber zum Beispiel während des 2. Weltkriegs auch deshalb, weil das Nazi-Régime fürchtete, im Bunkerbau den eigenen Untergang anzukündigen. Später (nach dem Krieg) erfolgte ihr Verstecken auch, um die unbequeme Vergangenheit zu tilgen.
»Neue« Bedrohungen wie die des Klimawandels veranlassen ebenso, Bunkerartiges zu erschaffen. Um bedrohtes Genmaterial relevanter Pflanzen beispielsweise zu schützen. Zu diesem Zweck werden Areale gewählt, die von klimatischen und kriegerischen Entwicklungen wahrscheinlich verschont blieben.
Der französische Philosoph Paul Virilio bestimmt den Bunker in seiner berühmten Bunkerarchäologie der 1970er Jahre als Anachronismus, der einerseits von einer alten, in Front und Hinterland unterscheidenden Kriegsführung kündet und anderseits auf den Gebrauch jener Waffen verweist, vor denen keine noch so starke Wand zu schützen vermag. Insofern wird das im Bunker bzw. mit konkreten Bunkern implizit versuchte Anhalten von Zeit oder der Versuch mit einer Grenze etwas »dauerhauft zu machen« im oder durch Bunker (erneut) eindringlich als hypothetisch entlarvt — auch über die baulichen Formen hinaus in abstrakter Form: Die angedachte Funktion (nicht nur der von Virilio beobachteten Anlagen) konnte (und kann) nicht geleistet werden, die von Virilio untersuchten Weltkriegsbunker (der Nazis) waren bisweilen bei ihrer Fertigstellung technisch überholt und die einst erhoffte Standhaftigkeit an der Küste Frankreichs ist längst von starker Erusion unterminiert worden. Vielleicht ein noch abstrakteres Beispiel: Das Fotoalbum kann nur vermeintlich die Zeit anhalten, wird aus dem Augenblick der Betrachtung interpretiert und der umgangsprachliche Verweis, dass »das immer so war«, ist nur ein Momentaufnahme innerhalb eines steten Flusses und einer Betrachtung aus dem Jetzt heraus.
Der Bunkerbau im weitesten Sinne erfreut sich aber als Adaption in Form der Doktrin »My home is my castle«, besagten bewachten Wohnanlagen, der Firewall um ganze Länder, orbitaler Raketenabwehrsysteme bis hin zu gelinde gesagt unglücklichen Wiederkehr des Begriffs »Festung Europa« im Angesicht der Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre einer steten Aktualität.
Der Bunkerbau beschränkt sich allerdings keinesfalls auf eine »Schutzrichtung« (oft natürlich ein Frage der Perspektive), welche das in ihnen befindliche Gut vor dem Außen schützen soll. Vielmehr ist der Bunker auch als Instanz des Außen von dem in seinen Inneren Verwahrten denkbar — gerade in der Zwischenlagerung oder gar Endlagerung von strahlenden Abfällen aus Atomkraftwerken tritt dieses umgekehrte Verhältnis zu tage.
Diese Beobachtung lässt sich auch auf das im Kontext der Heterotopie mitgeführte Konzepte des Gefängnisses oder der Irrenanstalt übertragen. Diese allerdings, wie Foucaults Analysen in «Die Ordnung der Dinge« und mit seinen Ausführungen zum Panoptikum sichtbar wird, können von einer willkürlich definierten Vorstellung bestimmt sein: Das Andere oder Gefährliche wird sehr relativ oder subjektiv bestimmt. Und das lässt sich, wie in dieser Doktorarbeit regelmäßig erfolgend, abstrahieren: Denken Sie an radikale Ideologie, die gegen jede faktische Basis das wie auch immer definierte Andere als Feindbild oder kommende Gefahr ausrufen, um sich selbst/den eigenen Anhängern einen Sündenbock zu geben. Und damit fatale und illusorische Orientierung geben — oft wird die derzeit von manch Menschen als unstetig empfundene Welt damit »einfach« oder »verständlich« gemacht. Dieses Erklären ist dann aber — das versteht sich von selbst — eben eine Illusion.
»Früher war es einfacher!« Tatsächlich war es früher nicht einfacher, sondern viele Dinge wurden einfach pauschal unterdrückt und bei Ungerechtigkeiten weggeschaut. Also höchstens eine Illusion der Einfachheit. Manch Schreckliches von hier oder auf der anderen Seite der Welt wurde schlicht ignoriert. Insofern haben die Medien die Welt näher zusammengebracht und im Sinne eines Offenbares komplexer gemacht. Ein individuelles Vermögen, die Informationsflut handzuhaben oder filtern, fehlt aber bei vielen Menschen, ob Jung oder Alt, in unserer Gegenwart. Zum Willkürlichen etwaiger Feindbilder bzw. zur Komplexität kommunikativer oder menschlicher Mechanismen gehört nämlich auch, dass das Abgelehnte schließlich entscheidend wird, um die »eigene Welt« am Leben zu erhalten. Auch deswegen vermögen radikale Bewegungen oft keine wirkliche Antwort auf Komplexes bieten, denn ohne Gegner würde die eigene Bewegung nicht mehr existenzfähig sein.
Doch die Unterscheidung von «Wirkungsrichtungen« darf nicht täuschen — als Vorgriff auf das Serielle (des Fernsehens): Auch in progressiven Formaten verfallen die Protagonisten (wie etwa Walter White in der prämierten Serie »Breaking Bad«) in wiederkehrende oder zumindest in einer Spirale vorstellbare Muster zurück. In den Serien des 1. Pols lässt sich nicht über die Alterung der Darsteller hinwegtäuschen — allem Zeitanhaltens zum trotz: erreicht durch den Umstand, dass am Ende jeder Episode zum Status quo zurückgekehrt wird. Im (kathartischen) Drinnen- oder Draußen-Halten, durch tatsächliche als auch imaginäre Grenzbefestigungen wird nicht selten versucht, einen Zustand einzufrieren — aus Furcht vor Wandel zum Beispiel, weil »man ihn so lieb gewonnen hat«. Radikalere und fatalere Beispiel liegt auf der Hand.
Aber: Diese verschiedenen Bunkerbauten offerieren bzw. das Bunkerartiges offeriert diesem oftmals allzu simplen Denken auch entgegengesetzte Konzepte: Sie lassen sich in einem Dazwischen einordnen, welches als Chance der Synthese konträrer Bereiche zu verstehen ist, die (Semi-)Permeabilität zwischen heterotopen Bereichen und ihren Schranken aufzeigt sowie — in beinahe aufklärerischer Transgression — auf die unbequemen Graustufen zwischen etablierten Sichtweisen verweist: Die Bunkerbauten des zweiten Weltkriegs sind in diesem Sinne zu verstehen — erbaut aus übermäßiger Machtfantasie (≈ kaum tarnbare Riesenbunker zur U‑Boot-Produktion auf dem flachen Land), währends des Krieges zum Symbol des drohenden Untergangs werdend, folglich schon damals und nach dem Krieg zu verstecken versuchte Bauten, auch als Symbol der »Vetterwirtschaft« der Nazi-Größen (die sich eigene Bunker bauten, während für die Bevölkerung nicht im Ansatz genügend Plätze vorhanden waren), unbequeme Erinnerung nach dem Krieg — die eigene (deutsche) Vergangenheit, die ermordeten Zwangsarbeiter betreffend.
Ein weiteres, abstrakteres Beispiel sind etwa wissenschaftliche Diskurse oder investigative Medien. Dort werden oft mehrere und sich wiedersprechende Positionen aufgezeigt, manchmal so stehen gelassen, um sich als Rezipient ein Bild zu machen oder sie werden fundiert gegeneinander abgewogen oder in einen Kompromiss verwandelt. Abstrakter ist da Walter White in besagtem »Breaking Bad« — ein Figur, die Abscheu und Sympathie gleichermaßen erzeugt, und ggf. zum Nachdenken anregt.
(TV-)Serien
Serialität lässt sich über das Fernsehen weit hinaus auf jahrhundertealte Vorbilder zurückführen — etwa bis zu »Tausendundeine Nacht«. Serielle Formen in der Literatur, beispielsweise Alexandre Dumas über mehrere Jahre Stück für Stück erscheinendes Werk »Der Graf von Monte Christo« oder die sogenannten »Penny Dreadfuls«, als Schund gewertete Groschenromane, bereiten den Weg für serielle Formate im Radio und Kino. Diese werden schließlich zum Vorbild für das Fernsehen — jenes Medium also, welches als Paradebeispiel der Serialität gilt. Diese und »ihr« Medium werden nach wie vor in einem bisweilen trivialen anmutenden Diskurs (wie eingangs angedeutet), nicht zuletzt immer noch auf die in den Fünfzigern des vorhergehenden Jahrhunderts entstandenen Arbeiten Adornos (1954) (und Horckheimers) bezugnehmend, als verdummend-redundant betrachtet. Gleichwohl lassen sich im Medium Formate erkennen, die längst und immer schon jenseits einer solchen stetigen Wiederholung des Immergleichen liegen …
… Erst jüngst ist auch in den Feuilletons und im wissenschaftlichen Diskurs ein Bewusstsein für bestimmte Formen der Serialität gewachsen. In den 1970er und 1980er Jahren setzte eine Diversifizierung der Angebote und Zielgruppen des Fernsehens ein. Durch den Ausbau des Kabelnetzes wurde eine Vervielfältigung der Anbieter möglich und Pay-TV-Sender kamen auf. In einem mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der Zeit verbundenen, sich wechselseitig bedingenden Konglomerat von Faktoren wurde ein Paradigmenwechsel vollzogen: Folglich entstanden komplexere (oft durch Abonnenten finanzierte) Narrationweisen. Der einst (abseits der Fernbedienung) unbeeinflussbare Flow des Mediums füllte alsbald den gesamten Tag. Um den Bedürfnissen neu erschlossener, auch anspruchsvollere Zielgruppen gerecht zu werden, werden aufwendige Produktionen gestartet. In diesen verbinden sich komplexe Narration und eine kino-ähnliche Audiovision. Zu den QTV- und komplexeren Formaten zählen gemeinhin die Serien des Typus II oder zweiten Pols des seriellen Erzählens: progressive, über die einzelnen Folgen hinweg erzählende Formate um eine vom Wandel bestimmte Geschichte oder ein zentrales Rätsel. Diese Serien sind eine Fortentwicklung der häufig als minderwertig geltenden Soap. Demgegenüber steht der Typus I, der erste Pol der seriellen Narration: Die stagnierenden Formate stellen am Ende einer jeden Episode den Status quo her, sodass sich keine wirkliche Entwicklung der Figuren über die Grenzen besagter Einheit hinaus einstellt. Obacht alleerdings vor zu schnellen Werturteilen, im Sinne eines Moodmanagements zum Beispiel können alls Formen einen Reiz auf den Betrachter entfalten.
Zwischen diesen Polen lassen sich zwei Hybride ausmachen: Der Typus III, welcher ebenfalls zum QTV gezählt wird, besitzt (neben einer Episodenhandlung) regelmäßig mehrere horizontale Handlungsstränge. Der Typus IV erzählt progressiv etwa in mehreren Folgen die Aufklärung eines Falls. Der Fall wird statt in einer Episode in einer Staffel gelöst ≈ Staffelnarrativ. Die Eventserie, limitierte Serie oder Miniserie funktioniert also über Endlichkeit/die Lösung des Falls nach einer bestimmten Anzahl an Folgen/zum Ende der Staffel.
Neben dem (Audience-)Flow der traditionellen Distribution etabliert sich eine weitere Form des Flusses bzw. der sogenannte Paradigmenwechsel entfaltet bis heute Nachwirkung, weist eine jüngste Ausformung auf: Als Fortführung der DVD werden über streamingsbasierte On-Demand-Anbieter theoretisch örtlich, zeitlich sowie in der Quantität individuell wählbare Angebote verfügbar. Einhergehend ist damit das Ende des Fernsehens und gleichsam eine Loslösung der Serialität von ihrem Träger denkbar. Dabei spielt auch Marketing ein Rolle: Das Fernsehen gilt dem Klischee nach als minderwertig, die Ansprache von Menschen mit dem entsprechenden Habitus gelingt auch dadurch, Fernsehen nicht mehr als Fernsehen zu bezeichnen. Sicherlich hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Serialität reelle Gründe, fusst aber auch auf diesem Umstand.
Jedenfalls: Tatsächlich ergänzen sich beide Felder auch: Zusätzlich zur (bisweilen entlastenden) Entscheidungsabnahme des linearen Fernsehens werden über Mediatheken On-Demand-Angebote bereitgestellt. Umgekehrt trägt die automatische Weiterleitung zur nächsten Folge oder die Empfehlung weiterer Werke auf den On-Demand-Plattformen ebenfalls Züge eines Flusses. Auch sind die neuen Anbieter keinesfalls zur allumfassenden Archiven und Innovationsgeneratoren geworden, wie anfänglich geglaubt. Zahlreiche Konkurreten haben sich etabliert, mit exklusiven oder originären Angeboten … Klingt vertraut? Sie sind zu Kanälen wie denen des Fernsehens geworden, die nie »das Ganze« anbieten.
Open Access, Bauhaus-Universität
Forschungsfelder
Forschungsfelder
Das Eintauchen: So erleben wir nicht nur klassische Medien, so erleben wir die ganze Welt … vom Büro, Supermarkt bis zum Urlaubsort.
Klar, TV-Serien. Aber noch viel mehr: Das Serielle findet sich überall, es prägt uns und ist z. B. nutzbar im Marketing …
Eine alte Erzähweise: überall zu beobachten, allerseits unterbewusst implementiert und damit einen gewissen Erfolg begünstigend.
Kommunikation für Sie
oder anhand meiner Seminare lernen,
wie Kom. und Medien besser zu handhaben:
Dr. Sönke Hahn, Kommunikation
Erfahrungsschatz: Über 10 Jahre als ausgezeichneter Filmemacher und Designer — u. a. prämiert mit »Red Dot«, »iF Design Award« und »German Design Award«
Hintergrundwissen: interdisziplinäre Doktorarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar, wissenschaftliche Vorträge und Publikationen im Feld Kommunikation und Medien